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Wenn das Klima krank macht

21.06.2024 / Heinz Fuchsig
Hitzewellen, Luftverschmutzung und andere Wetterextreme können in Alpentälern noch massiver auftreten und länger dauern als im Flachland. Warum das so ist und was Menschen und Gemeinden dagegen unternehmen können, erklärt der im österreichischen Innsbruck lebende Umweltmediziner Heinz Fuchsig.
Bild Legende:
Die Menschen in dicht bevölkerten Tallagen wie etwa in Grenoble/F leiden verstärkt unter Hitze und Luftverschmutzung. (c) iStock

Neben Wien ist Innsbruck die wohl hitzegefährdetste Stadt Österreichs: Im Sommer 2023 herrschten hier an 35 Tagen Temperaturen von mehr als 30°C. Innsbrucks bisheriger Rekord liegt bei 44 Hitzetagen im Jahr 2003. Im Juni ist es hier durchschnittlich bereits um 4°C wärmer als in den Siebziger Jahren. Der fehlende Schnee in den umliegenden Bergen und ein höherer Feuchtigkeitsgehalt der Luft reduzieren die – einst normale – nächtliche Abkühlung. Niederschlagsreiche Gewitter am Abend werden seltener, Strassen und andere aufgeheizte  Oberflächen kühlen kaum noch ab. Die Trockenheit führt zudem auch zu höherer Waldbrandgefahr. Insgesamt erwärmt sich der Alpenraum schneller als das Flachland: Ein stehendes Sommerhoch kann in Tallagen lebensgefährliche Temperaturen von über 40°C verursachen. 

Hitze betrifft alle
Bereits jede fünfte Person in Europa gilt als hitzevulnerabel, weil sie über 75 Jahre alt ist, Diabetiker:in oder etwa nierenkrank. An trockenen Tagen kann es zu enormen Temperatursprüngen von 20°C kommen.  Eine hitzebedingt massiv gesteigerte Hautdurchblutung in Tropennächten (Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20°C sinkt) belastet das Herz – besonders bei alten oder kranken Menschen, aber auch bei Schwangeren und Kindern. Unternehmen beklagen unausgeschlafene Angestellte, deren Leistung an ungekühlten  Arbeitsplätzen zusätzlich abnimmt. Sport und intensive Bewegung in der Hitze und der prallen Sonne oder Dehydrierung und falsches Verhalten (besonders bei Demenz, Einnahme gewisser Medikamente) können einen Hitzschlag verursachen. Dabei steigt die Körpertemperatur auf über 40°C, die Folge sind Orientierungslosigkeit, Krämpfe und Koma bis hin zum Tod durch Multiorganversagen. 

Was unternehmen Gemeinden?
Die italienische Stadt Bozen-Bolzano hat bereits kühle Plätze eingerichtet, mit schattenspendenden Laubbäumen, Brunnen, Wasserbecken, Toiletten, Verpflegung und Ruheliegen. Graz/A hat mit dem «Dom im Berg» und einer Eishalle zwei grosse «Cooling Zones», wo sich Leute entspannen können, deren Wohnung überhitzt ist. Ganz allgemein gilt: Städte sollten helle Oberflächen schaffen, um Hitze gar nicht entstehen zu lassen. Nötig ist auch eine Reduktion «innerer Lasten», verursacht durch die Wärme von tausenden Split-Klimageräten und Verbrennungsmotoren. Es braucht stattdessen mehr Rad- und Fusswege, öffentliche Verkehrsmittel sowie E-Fahrzeuge. Begrünte Fassaden und Strassenräume mit Bäumen und Grünflächen bieten Schatten, liefern Verdunstungskälte, begünstigen körperliche Bewegung und soziale Interaktion. Verdunstungskälte bedeutet aber auch mehr Luftfeuchtigkeit: Wir empfinden 29°C mit 65 Prozent relativer Luftfeuchte als gleich heiss wie 32°C mit 40 Prozent Feuchte – daher ist Begrünen alleine oft zu wenig. Die nötige Kühlung von Gebäuden mittels Wärmepumpen erlaubt eine Umwandlung der Hitze in Warmwasser oder Erdwärme. 

Gefährliches Extremwetter
Abseits der Hitze gefährden auch andere Extremwetterereignisse unsere Gesundheit. Durch die höhere Luftfeuchtigkeit fallen etwa Gewitter und Niederschläge heftiger aus. Immer häufiger wird gewitterbedingtes Asthma: Zerbrechen Pollen durch elektrostatische Aufladung, osmotische Prozesse und Frost-Tauwechsel, erreichen sie die Bronchien und verursachen bei Heuschnupfenpatienten Asthma. Brennen Wälder an steilen Südhängen unterhalb eines besiedelten Gebiets, müssen vulnerable Personen evakuiert werden und ein Katastrophenschutz-Stufenplan in Kraft treten. Unter anderem benötigen gefährdete Gemeinden dazu ausreichend Löschwasser. Starkregen, der ähnlich wie Hitzewellen infolge des Klimawandels häufiger auftritt und länger andauert, verursacht in Bergregionen Hangrutsche und Murgänge. Kranke und gebrechliche Menschen sind dann häufig von medizinischer Versorgung abgeschnitten. Andere Menschen sind – vor allem bei wiederholt erlebten schweren Unwetterschäden – oft traumatisiert und durch jeden nächtlichen Donnerschlag alarmiert.

Schmutzige Luft
Alleine in Österreich sterben jährlich über 2’000 Menschen an den Folgen verschmutzter Luft. Derzeit wird Holz und Biomasse ohne Kraft-Wärme-Kopplung im grossen Stil verbrannt, während wir ohne deutlichen Windkraft-Ausbau in eine dramatische Winterstromlücke rutschen. Eine Energiewende, die das Klima schützt, schützt somit auch unsere Gesundheit. Die wichtigste Massnahme aber wäre die Reduktion von Russ aus manuell betriebenen Einzelöfen und ungefilterten Dieselmotoren. So führt eine Nachrüstung von Dieselpartikelfiltern – wie sie im Alpenraum nur die Schweiz flächendeckend umgesetzt hat – bei Baumaschinen, Pistenraupen oder Dieselgeneratoren zu einer Reduktion um den Faktor 10’000. Es ist auch die am schnellsten wirkende Klimaschutzmassnahme, da Russ stark erwärmend wirkt und sich im Gegensatz zu CO2 nach wenigen Monaten verflüchtigt.

Zecken, Allergien und Neobiota
Durch höhere Durchschnittstemperaturen überleben auch Krankheitsüberträger wie etwa Zecken in Höhen von bis zu 1’800 Meter. Allergische Personen leiden zudem unter vermehrt wachsendem Ragweed (Ambrosia). Riesenbärenklau entlang von Forststrassen verursacht bei Hautkontakt und Besonnung schwerwiegende Verbrennungen (Phototoxizität). Krankheitsfolgen sind beispielsweise im Tessin/CH, das gegen Neophyten vorgeht, deutlich geringer als in der angrenzenden Lombardei/I. Die Tigermücke hat sich entlang der Autobahnen bereits ausgebreitet und wird von dort aus die Täler besiedeln. Noch ist keine Übertragung der zahlreichen Tropenkrankheiten, für die sie «Vektor» sein kann, dokumentiert. Im Alpenraum waren wir das Zusammenrücken in kalten Wintern und Krisen gewohnt. Gemeinwohlökonomie (Sharing Economy) und Suffizienz waren einst weit verbreitet, schliesslich leitet sich das Wort «Alm» von Allmende ab. Angesichts der vielen klimabedingten gesundheitlichen Bedrohungen sollten wir soziale und ökonomische Zeichen der Hoffnung setzen, die nicht nur die
Jugend im Alpenraum braucht.

 

Heinz Fuchsig ist Arbeits- und Umweltmediziner sowie Sachverständiger. Als Umweltreferent der österreichischen Ärztekammer und Leiter des Kurses Umweltmedizin setzt er sich ebenso für Respekt vor der Natur ein wie mit seinem nahezu CO2-freiem Zinshaus in Innsbruck, das als Österreichs erstes Gemeinwohlökonomiezertifiziertes Miethaus mehrfach mit Preisen für seine soziale und ökologische Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurde. Heinz Fuchsig ist Mitglied des Club of Rome und stellvertretender Vorstand der Organisation «Health for Future» in Österreich. Die Freizeit verbringt er mit seinen erwachsenen Kindern, seiner Ehefrau und Freunden oder auch alleine in den Bergen.