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Wie gesund sind die Alpen noch?

21.06.2024 / Veruska Muccione
Hitze, Erdrutsche, Überschwemmungen: Der Alpenraum ist stark von der Klimakrise betroffen. Gleichzeitig bietet der Alpenraum mit seinen einzigartigen Naturlandschaften und den verschiedenen Höhenlagen ein enormes Gesundheitspotenzial für uns Menschen.
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Über die Ufer getreten: Der Lago Maggiore zwischen Italien und der Schweiz. (c) matsilvan/istock

Der Klimawandel verändert das Risikoprofil des Alpenraums und seiner angrenzenden Regionen. Es wird immer deutlicher, wie sehr die Gesundheit dieses Lebensraums und seiner Bewohner:innen mit dem Rhythmus des Klimas verwoben ist. Im letzten Jahrzehnt haben langanhaltende Hitze und Trockenperioden die alpinen Ökosysteme und die von ihnen abhängigen Gemeinschaften stark in Mitleidenschaft gezogen. Zu den Auswirkungen gehören der Rückgang der Höhe und Dauer der Schneebedeckung in niedrigen Lagen, der Verlust an Gletschermasse, das verstärkte Auftauen des Permafrostes, immer mehr und immer grössere Gletscherseen. Insgesamt werden sich diese Trends im 21. Jahrhundert fortsetzen oder möglicherweise noch verstärken (je nach Klimaszenarien), was negative Folgen für die Gebirgskryosphäre, die Biodiversität, die Ökosystemleistungen und das menschliche Wohlbefinden hat.

Neue Stressfaktoren
Die derzeitige Forschung zu den Auswirkungen des Klimawandels in Gebirgsregionen hat sich bisher nur am Rande mit den Auswirkungen steigender Temperaturen auf die Gesundheit und den komplizierten Zusammenhängen zwischen Berg- und Flachland befasst. Die Bemühungen, die Konsequenzen zu verstehen, haben sich oft auf die ökologischen und hydrologischen Veränderungen in den Alpen konzentriert und dabei teilweise die wichtige gesundheitliche Dimension übersehen. Doch gerade in der einzigartigen Wechselwirkung zwischen Höhenlage und Klima liegen wichtige Erkenntnisse über die gesundheitlichen Folgen verborgen. Die lokale Fauna und Flora sowie die menschliche Bevölkerung, die sich seit langem an ein kühleres Klima angepasst haben, sehen sich mit noch nie dagewesenen Stressfaktoren konfrontiert, die insbesondere in städtischen Gebieten in engen Alpentälern verstärkt werden. Zu den direkten Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit gehören ein erhöhtes Risiko für klimabedingte Krankheiten und Verletzungen, höhere Sterblichkeitsraten und ein Anstieg von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Klimawandel kann auch indirekte Auswirkungen haben, unter anderem auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden. Darüber hinaus kann sich der Klimawandel auf die Luftqualität auswirken und zu einem erhöhten Risiko durch Luftverschmutzung führen. Die Folgen sind alpenweit unterschiedlich und hängen von der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umgebung ab, die klimabedingte Auswirkungen und Risiken sowohl verstärken als auch abschwächen kann. Wenn die Temperaturen steigen, so gefährdet das die Stabilität von Berggebieten. Das führt zu mehr Erdrutschen und Überschwemmungen, wie auch der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimawandel (IPCC) 2022 berichtete. Dies bringt nicht nur Menschenleben in unmittelbare Gefahr, sondern löst auch Stress und Angst bei denjenigen aus, die in Risikogebieten leben und gezwungen sein könnten, ihr Zuhause zu verlassen.

Schutz vor Wetterextremen
Trotz dieser vielfältigen Herausforderungen birgt der Alpenraum ein grosses Potenzial an Möglichkeiten zur Stärkung des Wohlbefindens und zur Eindämmung des Klimawandels. Die vielfältigen Naturlandschaften und die unterschiedlichen Höhenlagen bieten eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten, die die körperliche Gesundheit und das seelische Gleichgewicht fördern. Darüber hinaus haben die höheren Temperaturen und die extreme Hitze in den niedrigeren Lagen dazu geführt, dass einige Gebirgsregionen für Sommerbesuche attraktiver geworden sind, um sich vor Hitzewellen zu schützen. Die Alpenregion verdeutlicht die komplexen Zusammenhänge zwischen Umweltschutz, öffentlicher Gesundheit und Klimawandel-Anpassung. Durch den Schutz der Wälder, die uns vor den Gefahren vor Steinschlägen und Murgängen schützen, und eine nachhaltige Wassernutzung erhöhen wir die Widerstandsfähigkeit der Natur und verbessern gleichzeitig unsere Anpassungsfähigkeit. Nachhaltiger Tourismus, Anreize für umweltfreundliches Reisen und die Unterstützung lokaler, umweltfreundlicher Landwirtschaft sind Wege zur Erhaltung der alpinen Landschaft und zur Förderung einer klimatisch angepassten Lebensweise. Initiativen für grüne Energie – wie Solar- und Windparks, die sorgfältig in die alpine Infrastruktur integriert werden – verringern die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und reduzieren die Luftverschmutzung. Ebenso stärken architektonische Fortschritte wie energieeffiziente Gebäude, die mit ihrer natürlichen Umgebung harmonieren, die Widerstandsfähigkeit gegen Klimaextreme und fördern gleichzeitig ein gesünderes Raumklima. Bildung und Forschung sind von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, die Zusammenhänge zwischen der Gesundheit der Alpen und den klimatischen Veränderungen zu entschlüsseln. Letztendlich ist «Gesunde Alpen, gesunde Menschen» ein strategischer Imperativ, der nicht nur das Wohlergehen der Alpenbevölkerung bestimmt, sondern auch als inspirierendes Modell für Widerstandsfähigkeit und Symbiose mit der Natur dienen kann. 

Bild Legende:
(c) Julian Konrad

Veruska Muccione ist leitende Wissenschaftlerin am Geographischen Institut der Universität Zürich und Wissenschaftlerin im Stab der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, WSL. Ihre Forschung konzentriert sich auf Klimarisiken, Anpassung und Anpassungsentscheidungen mit besonderem Augenmerk auf Bergregionen und städtische Gebiete. Sie hat mehrere nationale und internationale Forschungsprojekte geleitet, die darauf abzielen, die Auswirkungen des Klimawandels auf Wasserressourcen, Naturgefahren und Gesundheit sowie die Bewertung von Anpassungslösungen zu verstehen. Zudem war sie Hauptautorin in der Arbeitsgruppe II des Sechsten Sachstandsberichts des IPCC, Kapitel Europa und Querschnittskapitel Berge.